Warum gymnastizieren?
Die Entwicklung des Pferdes
Die Gattung ‚Equus‘ (Einhufer) entwickelte sich vor rund 56 Mio. Jahren vermutlich im nordamerikanischen Raum. Das war das Zeitalter des Eozän, einem Zeitalter, das bekannt ist für die sprunghafte Entwicklung der Säugetiere. In diesem Zeitalter war das Klima sehr mild. Nicht einmal die Pole waren vergletschert. Eine bekannte Fundgrube von Fossilien aus dieser Zeit ist z.B. die Grube Messel bei Darmstadt.
Das Equus ging aus der Ordnung der Unpaarhufer (Perissodactyla) hervor. Heute noch lebende Vertreter sind Pferde (Hauspferd, Wildpferd/Zebra), Esel, Tapire und Nashörner. Das älteste bekannte Fossil dieser Ordnung , also quasi die ‚Urmutter‘ aller Unpaarhufer hatte gerade mal einen acht Zentimeter großen Schädel.
Am Anfang sahen sich die Vertreter diese Linie alle sehr ähnlich. Sie besaßen vier Zehen vorne und drei hinten, hatten einen konkav aufgewölbten Rücken, waren alle relativ klein und lebten von Obst und Laub in den urzeitlichen Wäldern. Zunächst waren die Unpaarhufer sehr erfolgreich und brachten gegen Ende des Eozäns sogar das größte Landsäugetier aller Zeiten hervor, ein Tier mit 20 Tonnen Lebendgewicht. Dieser Siegeszug endete aber im darauf folgenden Zeitalter, mit Einzug von neuen Tiergruppen in die Gebiete der Unpaarhufer, die ähnliche ökologische Nischen besetzten und so in Konkurrenz zueinander standen, z.B. die Wiederkäuer, deren Verdauungssystem viel effizienter war.
Den größten Niedergang erfuhr die Ordnung der Unpaarhufer dann schließlich mit dem Wandel des Klimas. Dieses wurde im Verlauf des sogenannten Miozäns immer kühler und trockener, wodurch die Wälder verschwanden und sich weite offene Steppen entwickelten. Viele Entwicklungen der Unpaarhufer konnten sich nicht anpassen und starben wieder aus. Einige allerdings stellten sich in ihrer Entwicklung auf die neuen Gegebenheiten und die härtere Grasnahrung ein, z.B. das Urpferdchen. Es wurde zum Fluchttier, da das Verstecken vor Fressfeinden in den Ebenen zwecklos war. Es bekam lange Beine, ein großes Herz, einen wachen Geist und verband sich zu Herden um in der Gruppe sicherer zu sein. Es wurde zum Wanderer, wanderte von einem Weidegrund zum nächsten über hunderte von Kilometern.
Vor 18 Mio. Jahren war das Pferd etwa einen Meter groß, hatte drei Zehen, auf dessen Spitzen es stand und sah im äußeren Erscheinungsbild dem modernen Pferd ansonsten schon recht ähnlich.
Als einziger Vertreter des Pferdes gelangte schließlich das ‚Equus‘ vor etwa 1,5 Mio. Jahren von Nordamerika auch nach Eurasien und bildete hier die Urform unseres heutigen Hauspferdes. In Amerika starb die Gattung hingegen vor etwa 10.000 bis 15.000 Jahren komplett aus. Die Pferde kamen erst in den letzten Jahrhunderten mit dem Menschen wieder auf diesen Kontinent.
Das heutige Pferd
Das Pferd ist auch nach der Domestizierung durch die Menschen vor etwa 12000 Jahren mit den Attributen seiner wilden Vorfahren ausgestattet. Daran ändert auch unsere Zuchtauslese nichts.
Für das Pferd als Reittier bedeutet das:
Das Pferd ist von der Natur nicht für das Lastentragen geschaffen worden. Das einzige Lebewesen, das vor der menschlichen Domestizierung gelegentlich auf seinem Rücken Platz nahm, war das Raubtier, das sein Abendbrot bereitete und diese Begegnung war für ein Pferd äußerst kritisch, wenn nicht sogar tödlich.
Der Pferderücken ist daher nicht konstruiert um Last aufzunehmen. Der Brustkorb und die Schultern sind nur über Sehnen, Bänder und Muskellgruppen miteinander verbunden, sie besitzen keine knöcherne Verbindung. Der Brustkorb hängt also frei wie an Seilen zwischen den Vorderbeinen.
Wird die Wirbelsäule mit Gewicht fehlerhaft belastet, sackt der gesamte Brustkorb nach unten ab und zieht den vorderen teil der Wirbelsäule mit sich.
Wie der aufrechte Gang des Menschen, so ist auch dem Pferd ein spezifischer Gang mit in die Wiege gelegt worden: Es läuft natürlicherweise in fast allen Lebenslagen auf der Vorhand, sei es beim Fressen, beim Wandern oder bei der Flucht. Etwa 70% der Last werden auf die Vorderbeine verteilt. Das ist schon anatomisch gesehen logisch, da hier z.B. Hals und Kopf ansetzen, die schon ein beträchtliches Eigengewicht mitbringen und die natürliche Balancestange des Pferdes bilden, wie bei Katzen der Schwanz. Der Hals wird besonders im höheren Tempo wichtig. Damit eine Flucht gelingen kann muss das Pferd nicht nur schnell sein, sondern auch stolper- und unfallfrei. Der Hals wird dabei zur Stabilisation entgegen der Laufrichtung getragen, dabei wird hauptsächlich die Unterhalsmuskulatur angespannt und die Oberlinie verkürzt. Den Hinterbeinen kommt die Aufgabe der möglichst schnellen und hohen Beschleunigung zu, weshalb die Hinterhand auch deutlich stärker bemuskelt ist als die Vorhand. Sie schieben das Pferd nach vorne. Ein Fluchttier ist für das Geradeauslaufen gemacht, immer wiederkehrende Kurven wie in unseren Reitbahnen sind von der Evolution nicht vorgesehen und daher auch nicht im natürlichen Bewegungsmuster des Pferdes eingeplant.
Mensch und Pferd sind beides Lebewesen, die manchmal mehr verbindet, als man das bei den unterschiedlichen Körperkonstruktionen glauben mag. Wie der Menschen ist auch das Pferd ‚natürlich schief‘. Das heißt, es ist entweder 'Rechtshänder' oder 'Linkshänder'. Was bedeutet, dass es wie wir auch eine Schokoladenseite hat. So stützen sich auch Pferde entweder lieber auf der rechten Schulter ab oder auf der Linken. Je nach Individuum ist diese Eigenschaft unterschiedlich stark ausgeprägt. Man spricht von links oder rechts ‚hohl‘, da einhergehend mit der Händigkeit die Muskelgruppen und Bänder auf einer Seite des Pferdes verkürzt sind. Über die Gründe, warum Lebewesen schief sind, ist man sich noch nicht wirklich im Klaren. Es gibt hier zahlreiche Theorien. Sogar bei Pflanzen hat man beobachtet, dass diese zum Teil eine Art 'Händigkeit' in ihrem Wuchsverhalten haben die nicht mit anderen Umweltfaktoren zu erklären ist.
Das ist so auch erstmal alles nicht weiter schlimm und in der Natur auch sehr erfolgreich, denn die Equiden sind eine von nur wenigen Familien der Unpaarhufer, die bis heute überlebt haben.
Problematisch wird das Ganze nur dann, wenn der Reiter ins Spiel kommt.
Die Gewichtsbelastung für den Bewegungsapparat des Pferdes erhöht sich vor allem in der Bewegung um ein Vielfaches, je höher die Geschwindigkeit umso größer die Laststeigerung. Selbst ohne Reiter, beträgt die potentielle Masse pro Bein in Höchstgeschwindigkeit schon bis zu einer Tonne. Dazu kommt, dass unser Training auf Reitbahnen eben deutlich mehr Kurven beinhaltet, als entwicklungstechnisch vorgesehen ist, was noch mehr einwirkende Kräfte, noch mehr Druckbelastung auf dem Bewegungsapparat bedeutet.
Das Pferd wird versuchen die zusätzliche Masse des Reiters über sein natürliches Bewegungsverhalten auszugleichen. Es läuft auf der Vorhand während der Brustkorb absackt und die Wirbelsäule zwischen den Schulterblättern verschwindet. Es wird sich vermehrt auf das stärkere Vorderbein stützen, den Kopf versuchen entgegen der Bewegungsrichtung zu verstellen oder sich auf der hohlen Seite überbiegen und mit einer schiebenden, nach hinten hin und am Schwerpunkt vorbei tretenden Hinterhand hinterher laufen. Die meisten Rittigkeitsproblemen, 'Ungehorsam' und Blockaden, partieller Muskelschwund, Arthrosen und Sehnenschäden gehen auf das Konto derartiger Sachverhalte zurück. Nicht nur die Gesundheit, das leibliche und seelische Wohl unseres Pferdes hängen davon ab, wie wir unser Pferd ausbilden und reiten, sondern auch ob das Reiten und der tägliche Umgang für uns zum Genuss werden oder zum Albtraum.
Die Idee hinter der Dressur
Damit das Pferdes belastbar bleibt und muss es lernen unter dem Reiter den Brustkorb aufzuwölben. Wenn es das nicht lernt sackt dieser in seiner Aufhängung unter dem Reiter ab was zu einer Reihe von Problemen und frühzeitigem Verschleiß führt und ab einem gewissen Punkt nicht mehr reparabel ist. Auch die Gewichtsverteilung auf den Beinen muss angepasst werden. Dem Pferd muss also beigebracht werden sich vorne nach oben und hinten nach unten zu bewegen. Ein Pferd ist jedoch ein zweidimensionaler Denker (Wir Menschen denken dreidimensional). Es wird sich immer den angenehmsten Weg für die aktuelle Situation suchen. Es erinnert sich dabei an Vergangenes, Positives und Negatives. Die Zukunft interessiert es hingegen nicht. Muskuläre Anstrengung nun ist unangenehm, ermüdend und raubt viel Energie. Für das Pferd ist es einfacher, den Reiter über die knöchernen Strukturen zu tragen als über die muskulären. Knöcherne und sehnigen Strukturen sind sehr ermüdungsarm. Muskulatur ist viel schneller ermüdet, hat einen großen Energiebedarf und ist viel schmerzempfindlicher. Also ist es in der Denkweise des Pferdes nicht logisch dass und warum es auf einmal fern seiner Natur so laufen sollte, besonders wenn noch ein balanceraubender Reiter auf seinem Rücken sitzt. Sie ist aber viel strapazierfähiger als Sehnen und kompensiert die einwirkenden Kräfte deutlich besser.
Ziel der Dressur mit ihren Lektionen ist es deshalb die Bewegungen des Pferdes so zu schulen, dass sie bestmöglich zur Gesunderhaltung beitragen. Durch einen sinnvollen Aufbau und eine Aneinanderkettung verschiedener Übungen (die alle auch irgendwo im natürlichen Verhalten des Pferdes vorkommen) lernt das Pferd dabei immer mehr Last über die Muskulatur abzufangen und die Beine gleichmäßig zu belasten (sich gerade zu richten). Es lernt sich bedacht und geschmeidig zu bewegen und gewinnt an Stolz und Ausstrahlung. Aus dem Dressurtraining entstehen aber nicht nur viele Vorteile für das Pferd, sondern auch für seinen Reiter in Form vom deutlicher Rittigkeitssteigerung.